Lesung und Diskussion mit Olga Reznikova und Anna Schwenck

13. April 2024 | 19 Uhr | @translib, Goetzstraße 7

Olga Reznikova und Anna Schwenck geben Einblicke in die widersprüchlichen Tendenzen von Protest und Anpassung, die Russland im Jahrzehnt vor dem offenen Angriffskrieg gegen die Ukraine geprägt haben. In der Veranstaltung soll versucht werden, konkrete gesellschaftliche Entwicklungen im Russland der Vorkriegszeit zu identifizieren, die auf eine spätere Eskalation des bereits bestehenden militärischen Konflikts mit der Ukraine hindeuteten.

Westliche Beobachter_innen erklären die breite Unterstützung für den Krieg und das landläufige Schweigen über soziale Ungerechtigkeiten und Repression oft mit dem Verweis auf Putins charismatische Herrschaft, die sich auf die Oligarchie stütze, oder mit „Russlands“ Suche nach „seiner nationalen Identität“ oder „seinem Platz“ im geopolitischen Spiel. Viele russische Liberale erklären die Unterstützung faschistischer Regime in Russland mit einem besonderen „russischen Charakter“, der über Jahrhunderte hinweg die Sehnsucht nach einer Großmachtstellung aufrechterhalten habe.

Die Diskussion mit Anna und Olga zielt darauf ab, in der Debatte häufig unterbelichtete Prozesse und Faktoren in den Blick zu nehmen und ein vielschichtigeres, in vielen Punkten ambivalentes Bild der russischen bzw. russländischen Gesellschaft vor dem Februar 2022 zu zeichnen. Beispiele dafür sind die wachsende Popularität transnational geteilter autoritärer, neotraditionaler Selbstoptimierungs-Ideale oder die Bedeutung der Denkfigur der „einfachen wütenden Leute“, die in den sozialen Protesten der Zeit neue Aktualität gewann.

Beide Autorinnen lernten sich während ihrer Feldforschungen kennen. Olga nahm an Streiks und Protesten von Fernfahrern im Moskauer Umland teil, Anna besuchte staatliche Youth-Leadership-Camps in Sibirien. Im Austausch über das sehr unterschiedliche, aber doch auf
ähnliche gesellschaftliche Prozesse hinweisende Feld- und Interviewmaterial entwickelten sie die jeweiligen theoretischen Rahmungen ihrer Arbeit und analysierten ihr Material.

Wir glauben, dass es für die Linke in Deutschland wichtig ist, mehr über die russische Vorkriegsgesellschaft zu wissen, unter anderem um besser einschätzen zu können, wie realistisch die Hoffnung ist, dass sich die Lohnabhängigen und die Zivilgesellschaft Russlands gegen den Krieg stellen und so von Russland aus zu seiner Beendigung beitragen.

Olga Reznikova: Wut der Fernfahrer. Ethnografie eines sozialen Protests in Russland, Frankfurt a.M., 2023.

Anna Schwenck: Flexible Authoritarianism. Cultivating Ambition and Loyalty in Russia, Oxford, 2024.

Franz Heilgendorff: Kategoriale Kritik – Buchvorstellung und Diskussion

23. März 2024, 18 Uhr
Goetzstraße 7

Die von Karl Marx formulierte Kritik der politischen Ökonomie ist zentraler Bestandteil einer Kritik der Gesellschaft. Darüber hinaus wurde in der Geschichte der Linken immer wieder vorgeschlagen, sie als Paradigma kritischer Methodik zu verstehen. Also als Modell dafür, wie sich die gesellschaftlichen Verhältnisse verstehen und kritisieren lassen, um sie praktisch zum Tanzen bringen zu können. Um die Wirklichkeit zu verändern, müssen wir sie verstehen. Doch was genau zeichnet die Methodik von Marx aus? Wie verfährt er im Kapital? Gibt es so etwas wie eine »materialistische Dialektik«? Was zeichnet sie aus?
Im letzten Jahr hat Franz Heilgendorff bereits mehrere Einführungsseminare zur Dialektik bei Hegel, Marx und Adorno in der translib gegeben. Nun haben wir ihn eingeladen, um in einem Gespräch sein soeben erschienenes Buch zu den Kategorien von Marx’ Kritik der politischen Ökonomie vorzustellen. In seiner Arbeit versucht er zu klären, was Marx unter »Kategorien« versteht und dadurch aufzuhellen, was »materialistische Dialektik« bedeutet. Im Anschluss an die Vorstellung gibt es die Möglichkeit für eine gemeinsame Diskussion der zentralen Überlegungen des Buches.

Klappentext:
Bis heute ist ungeklärt, was Kategorien im marxschen Sinne eigentlich sind, und das, obwohl Marx seine Methode selbst als eine »Kritik der ökonomischen Kategorien« bezeichnet hat. Im vorzustellenden Buch wird versucht, diese Lücke zu schließen. Vor dem Hintergrund einer Reinterpretation des Marxschen »Kapital« zeigt sich, dass bereits die Verwissenschaftlichung der Metaphysik bei Hegel eine Form der Kategorienkritik ist. Im Zentrum kategorialer Kritik bei Marx steht die Frage nach der Konstitution von Gesellschaft und ihrer gedanklichen Reproduktion – einer Denkform, die Wissenschaft, Ideologiekritik und jene in Marx’ »Thesen zu Feuerbach« angemahnte praktisch-kritische Tätigkeit in sich vereint. So zeichnet sich ab, dass »materialistische« Dialektik mitnichten ein Verzicht auf spekulatives Denken ist, sondern Metaphysik im Moment ihres Sturzes zur Methode rationaler Weltauffassung wird.

Vollständiger Titel: Kategoriale Kritik. Zur Bedeutung von Kategorie und Begriff in der dialektischen Methode bei Marx, Dietz Verlag, Berlin 2023.

Auftakttreffen: Donnerstag, 21.3.24, 18:00 Uhr, translib

„Eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, dass er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war.“ (Das Kapital. Band 1, MEW 23, S. 193)

Dieses Zitat aus dem ersten Band von „Das Kapital“ ist eines jener schönen Beispiele für die oft bildreiche und humorvolle Sprache von Karl Marx. Dabei geht es in seinem Grundlagenwerk zur Kritik der politischen Ökonomie um nichts weniger als den Produktionsprozess des Kapitals, um die zur zweiten Natur gewordenen Ausbeutungsverhältnisse im Kapitalismus, in denen weder Biene noch Baumeister zu ihrem Recht kommen. Diese zu verstehen, das wissen wir aus eigener Erfahrung, ist oft schwer, trotz mancher Stilperlen von Karl Marx.

Deshalb laden wir zu unserem neuen Lesekreis zu Karl Marx’ „Das Kapital“ Band 1 ein. Bis wir da über die Bienen und Baumeister am Text diskutieren können, sind zwar noch einige Seitenmeilen zurückzulegen. Aber auch in denen werden wir, so viel sei versprochen, über das Verhältnis von Mensch und Natur lernen, und uns die zentralen Kategorien des Produktionsprozesses des Kapitals gemeinsam aneignen. Darum kommen wir nicht herum, wollen wir den Kapitalismus mit all seinen katastrophalen Folgen verstehen und abschaffen. Und das geht am besten zusammen, von der Kapitallektüre bis zur Revolution, weil beides schwer zu machen ist.

Alle Interessierten sind herzlich eingeladen, am 21. März um 18:00 zu unserem Auftakttreffen in die translib zu kommen. Der Lesekreis wird alle zwei Wochen am Donnerstag um 18:00 Uhr in den Räumen der translib stattfinden. Gelesen wird in Präsenz, um den Vorbereitungsaufwand klein zu halten; Vorkenntnisse werden nicht vorausgesetzt.

Wir feiern unseren Geburtstag am Samstag, den 3. Februar 2024!

Für den Tag haben wir uns ein feines Programm überlegt:

16:00 Uhr                 Eintrudeln

16:30 Uhr                 Begrüßung mit Sekt & Kuchenbuffet

18:00 – 19:00 Uhr    10 Jahre translib: Das best of

19:15 – 21:00 Uhr   Abendessen mit Pasta & Mitbringbuffet

21:00 – 02:00 Uhr    Bar & Musik

                                 später Auflegerei & Tanz mit

                                 DJ Ivastar (ExOstblockSynth) & DJ Pesca Fresca (Latino, Hip Hop)

Kommt zahlreich!

Einführung in Hegels Rechtsphilosophie

6. Februar – 2. April 2024 / @ translib – Nur mit Anmeldung (siehe unten)

Hegels Rechtsphilosophie galt Marx wie auch der Kritischen Theorie trotz einiger Einwände als Ausgangspunkt für die Entwicklung einer kritischen Gesellschaftstheorie. Von anderen wurde sie als Rechtfertigung des preußischen Staates verrissen.

In den 1820 veröffentlichten Grundlinien der Philosophie des Rechts unternimmt Georg Wilhelm Friedrich Hegel den Versuch, »seine Zeit in Gedanken zu erfassen«. In anderen Worten: Er entwirft einen Grundriss der rechtlichen, moralischen und sittlichen Verhältnisse seiner Zeit. Wobei unter Sittlichkeit die Familie samt des Geschlechterverhältnisses, die politische Ökonomie in Gestalt der bürgerlichen Gesellschaft und die politische Ordnung in Form des Staates zu verstehen sind. Er versucht also, die Totalität der modernen Gesellschaft auf ihren Begriff zu bringen. Dabei stellt Hegel diese nicht nur unter dem Stern der Aufklärung dar; es wird auch deutlich, dass sein Anspruch, eine verwirklichte Vernunft und vernünftige Wirklichkeit zu erfassen, nur einzuhalten ist, indem auch das Negative dialektisch einbezogen wird: etwa Betrug und Strafe, das Böse, soziale Verheerung oder auch Krieg und Unterdrückung. Die Rechtsphilosophie präsentiert sich darum als eine riskante Gratwanderung, in der die moderne Gesellschaft durch eine widersprüchliche Begriffsentwicklung rekonstruiert werden soll. Deshalb konnte sie zu einem Ausgangspunkt für eine Gesellschaftstheorie werden, die sich materialistisch daran machte, jene sozialen Widersprüche aufzudecken. Wobei sie zugleich gegen Hegel insofern gerichtet war, als sie weniger von Aufklärung und Vernunft als mehr von Kapitalakkumulation und Klassenverhältnissen ausging, weniger also von den geistigen als mehr von den praktischen Verhältnissen der Menschen zueinander.

Die Lektüre dieses Werkes ist alles andere als leicht. Das mussten wir selbst erfahren: Im Frühjahr 2014 hatte sich ein Lesekreis zur Rechtsphilosophie in der translib gegründet. Zunächst auf 25 Termine angelegt, hielt der Text uns schlussendlich 8 Jahre und wahrscheinlich mehr als 150 Sitzungen in Atem (so genau wissen wir das nicht).

Trotzdem sollte das nicht von der Auseinandersetzung abhalten, weil vor allem der Lektüreeinstieg gemeinsam besser gelingt. Deshalb laden wir hiermit alle Interessierten zu dem Lektürekurs »Einführung in Hegels Rechtsphilosophie« ein. Anhand ausgewählter Textpassagen wollen wir uns in fünf Sitzungen (nicht mehr, versprochen!) gemeinsam schlaglichtartig einen ersten Eindruck von dem Text, seinem Aufbau, zentralen Argumenten und seiner politischen Relevanz erarbeiten. Mit dem so geprobten Widerspruchsgeist, als den Hegel einmal Dialektik charakterisiert haben soll, werden wir auch Kritikpunkte an jenem Werk beleuchten, welches in seiner Vorrede das Wirkliche für vernünftig und das Vernünftige für wirklich erklärt. Wir möchten auf diese Weise dazu einladen, die Lektüre dieses Textes gemeinsam zu beginnen, über ihn zu streiten – und natürlich gemeinsam zu diskutieren, was eine kritische Gesellschaftstheorie heute noch von Hegel zu lernen hätte.

Meldet euch bei Interesse bitte per Mail an: translib@gmx.de Die Sitzungen finden an den genannten Terminen von 17–20 Uhr in der translib statt. Für jede Sitzung sind ungefähr 20 Seiten Text vorbereitend zu lesen. Nach der Anmeldung werden die Texte digital zur Verfügung gestellt.

Termine:

  • Dienstag, 6.02.: Vorbereitung und Einstieg
  • Mittwoch, 21.02.: Hegels Anspruch und Systematik – Vorrede und Einführung
  • Dienstag, 05.03.: Abstraktes Recht – Die Rechtfertigung von Eigentum
  • Dienstag, 19.03.: Familie und Geschlechterverhältnis
  • Dienstag, 02.04.: Ökonomie – Bürgerliche Gesellschaft, Pöbel und Kolonialismus

Judenstaat und Revolution. Zionismus im Widerstreit.

Ein Seminar der translib.

27.-28. Januar 2024 / @ translib – Nur mit Anmeldung (siehe unten)

Sozialismus und Zionismus sind politische Ideen, die in Spannung zueinander stehen. Entsprechend vielseitig war die Ablehnung des Zionismus in der jüdischen und nicht-jüdischen Arbeiter*innenbewegung vor 1945. Bis zum nationalsozialistischen Vernichtungskrieg war die Idee eines jüdischen Staates einer von etlichen Ansätzen, um die Emanzipation von Jüd*innen zu erreichen. Doch mit der Shoah wurde auch die antizionistische jüdische Linke in Ostmitteleuropa vernichtet. Aus der zionistischen Bewegung in Palästina, die einen dominanten sozialistischen Flügel hatte, ist 1948 der Staat Israel geworden. Ein Staat, der jüdischen Menschen weltweit eine sichere Zuflucht verspricht, und zugleich in einem ungelösten Konflikt mit den Palästinenser*innen steht. In Israel verbindet sich jüdische Selbstermächtigung mit der gewöhnlichen Klassengesellschaft im Kapitalismus. Die Ambivalenzen des zionistischen Projekts sind ein Problem, das sich bis heute auch in erbitterten Kontroversen der deutschen Linken niederschlägt. Sowohl prozionistische als auch antizionistische Positionen haben eine bedeutende Rolle in der deutschen Linken. Inwiefern lässt sich die Solidarität mit Israel mit einer Perspektive auf eine staaten- und klassenlose Weltgesellschaft verbinden?

In unserem Seminar wollen wir unseren historischen Blick auf das komplexe Verhältnis von Zionismus und sozialer Revolution, jüdischer Souveränität und Kommunismus vor und nach dem Holocaust schärfen. Dabei wollen wir uns auch mit antizionistischen Argumentationen aus jüdisch-sozialistischer Perspektive vor und nach 1945 auseinandersetzen. Die Veranstaltung richtet sich an Personen, die sich vor dem Hintergrund des gegenwärtigen Antizionismus historisch mit dem Spannungsverhältnis von Sozialismus und Zionismus auseinandersetzen möchten.

Das Seminar findet am 27.01.2024 von 11-18 Uhr und am 28.01.2024 von 11-15 Uhr in den Räumlichkeiten der translib statt. Für Snacks wird gesorgt.

Bei Interesse schreibt uns bis zum 13.01.2024 an translib@gmx.de. Die Teilnehmer*innenzahl ist begrenzt. Nach dem 13.01.2024 erhalten Ihr eine Zu- oder Absage sowie den für die Vorbereitung zu lesenden Reader von ca. 20-30 Seiten.

Mitschnitt der Buchpremiere vom 29. April 2023 in der translib.

Im Frühjahr 2020 brach SARS-CoV-2 in den Alltag ein und begann in der Lebenswelt zu zirkulieren. Vertrautes wurde unheimlich, individuelle Routinen und soziale Regeln schlagartig außer Kraft gesetzt. Doch die Pandemie irritiert nicht nur den gewohnten leiblichen Umgang mit anderen Menschen, sondern stellt auch die Ordnung zentraler Kategorien wie Staat und Individuum, Politik und Ökonomie, Natur und Gesellschaft in Frage.

Maximilian Hauer hat in den drei zurückliegenden Seuchenjahren zu verschiedenen Aspekten der Pandemie geschrieben und im Mandelbaum Verlag einen Essayband zur Pandemie veröffentlicht. Darin kritisiert er verbreitete ideologische Verarbeitungsformen des Geschehens und formuliert eine materialistische Analyse der Seuche sowie ihrer staatlichen Bewältigungsversuche.

Das Buch wurde an diesem Abend erstmals vorgestellt. Zu hören ist eine Lesung mehrerer Passagen, aufgelockert durch ein Gespräch zwischen dem Autor und Katharina (translib), die den Abend moderiert hat.

Lesekreis zu Erhard Lucas’ Vom Scheitern der deutschen Arbeiterbewegung

Am 27.10.2023 um 18:30 Uhr beginnen wir einen neuen Zyklus in unserer Auseinandersetzung mit der Geschichte der Arbeiter:innenbewegung. Wir möchten gemeinsam Erhard Lucas’ Vom Scheitern der deutschen Arbeiterbewegung lesen und Interessierte dazu herzlich einladen.

Lucas’ Essay reflektiert die Geschichte der deutschen Arbeiter:innenbewegung von ihren Anfängen bis zu ihrer katastrophalen Niederlage 1933. Sein Ausgangspunkt ist dabei die Frage, warum die deutsche Arbeiter:innenbewegung vor dem Nationalsozialismus nahezu kampflos aufgab. Antworten darauf sucht er in den „blinden Flecken“ dieser Bewegung: in der fehlenden Auseinandersetzung mit Familien- und Geschlechterverhältnissen und mit Sexualität, im Umgang mit Religion, in einem unreflektierten Fortschrittsoptimismus und der Unfähigkeit, über Niederlagen und Verluste zu trauern.

In den letzten eineinhalb Jahren haben wir uns als Lesekreis anhand von historischen Debattenbeiträgen der Entwicklung der deutschen und russischen Arbeiter:innenbewegung zwischen 1848 und 1933 zugewandt. Dabei lag unser Schwerpunkt auf Fragen der politischen Organisation. Anhand von Debattenbeiträgen aus sozialistischen Zeitschriften, Manifesten, Programmen oder Analysen aus der Zeit haben wir uns zentrale Diskussionen der Zeit angeschaut. Wir sind dabei davon überzeugt, dass die Auseinandersetzung mit der lebendigen Debattenkultur innerhalb der Arbeiter:innenbewegung auch zur Reflexion unserer eigenen politischen Praxis wertvoll ist.

In unserem neuen Zyklus wollen wir den Blick über die Fragen der politischen Organisation hinaus weiten und uns verstärkt Fragen der Sozial- und Alltagsgeschichte und den Verhältnissen an der Basis zuwenden, die in unserer bisherigen Beschäftigung nicht im Mittelpunkt standen.

Die Literatur für die erste Sitzung senden wir euch nach eurer Anmeldung zu. Vorwissen ist für die Teilnahme nicht nötig. Der Essay bietet sich gut an, in unsere Runde einzusteigen.

Bei Interesse schreibt uns bitte an: translib@gmx.de

Foto:

Die SA demonstriert am 22. Januar 1933 vor dem Karl-Liebknecht-Haus auf dem Bulowplatz in Berlin.

Erstes Treffen: 11. Oktober 2023 | 18.30 Uhr

Aufgrund eigener Betroffenheit, einer durch eine neurologische Erkrankung bedingten
Gehbehinderung, habe ich begonnen, mich mit Disability Studies, der „Krüppelbewegung“, der
Eigenerfahrung von körperlichen Beeinträchtigungen und zugleich ihrer Bedeutung in der
Gesellschaft zu beschäftigen. Diese Auseinandersetzung läuft bislang isoliert und bleibt damit
unbefriedigend. Um diese Vereinzelung in der Auseinandersetzung, in der sich die tendenzielle
Isolation als Betroffener von körperlichen Beeinträchtigungen wiederholt, zu durchbrechen, möchte
ich gemeinsam mit anderen Betroffenen und Interessierten darüber diskutieren, welche Rolle
Krankheit und Behinderung im Kapitalismus spielen. Wie geht die (kapitalistische) Gesellschaft damit
um? Wie gehen Betroffene damit um? Wie lässt sich Widerstand gegen Ausgrenzung organisieren?
Welche historischen Versuche gab es in dieser Hinsicht – und welche Errungenschaften sind ihnen zu
verdanken, gegen welche gesellschaftlichen Widerstandskräften hatten sie zu kämpfen? Was können
wir also von ihnen lernen?
Diese und ähnliche Fragen sind Ausgangspunkt der Überlegungen zu einem Lesekreis, in dem Texte
über Behinderung, die „Krüppelbewegung“, das Sozialistische Patientenkollektiv und Krankheit im
Kapitalismus gelesen und zusammen diskutiert werden sollen. Ich suche Personen, die Interesse
haben, sich zu oben genannten Themen auszutauschen. Welche konkreten Lektüren dabei
besprochen werden sollen, und wie der Lesekreis genauer auszugestalten ist, ist dabei noch offen.
Auch über die Regelmäßigkeit der Treffen und den Ort soll nach den jeweiligen Bedürfnissen
gemeinsam entschieden werden. Deshalb soll sich in einem ersten Treffen über Textvorschläge und
Ideen ausgetauscht werden, und welche Vorstellungen und Bedürfnisse mit dem Lesekreis
verbunden sind. Das erste Treffen soll am 11. Oktober 2023 um 18.30 Uhr in den Räumlichkeiten der
Translib (Goetzstraße, 04177 Leipzig) stattfinden.
Wenn ihr Interesse habt, und/oder von barrierefreien Räumen in Leipzig wisst, in denen sich der
Lesekreis voraussichtlich alle 4 bis sechs Wochen treffen könnte, meldet euch gern bis 04. Oktober
2023 unter: krankheitundkapitalismus@translib.de

Nürnberg, 5. Mai 1992 – Demo zum Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung.

Freitag, 14. Juli 2023 | 19 Uhr | translib

Die Kampagne Deutschen Wohnen & Co Enteignen hat geschafft, was vielen vorher kaum machbar schien: Beim durch sie initiierten Volksentscheid im September 2021 über die Enteignung und Vergesellschaftung privater Wohnungsunternehmen in Berlin stimmten über 57% der Wähler*innen für die Enteignung. Damit wurde der Berliner Senat dazu aufgefordert, alle Maßnahmen einzuleiten, die zur Überführung von Immobilien sowie Grund und Boden in Gemeineigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung nach Art. 15 GG erforderlich sind. Passiert ist seither nicht viel – die Politik hat offensichtlich nicht die Absicht, den Volksentscheid tatsächlich umzusetzen. Der Kampagne droht währenddessen der Atem auszugehen. Die weit verbreitete Überzeugung, dass an den Verhältnissen nicht zu rütteln sei, droht darin erneut Bestätigung zu finden. Um dem entgegen zu wirken, ist es notwendig, die politische Praxis zu reflektieren und aus ihr zu lernen. Welches vorläufige Fazit ist also aus der Kampagne zu ziehen – und wie könnte und sollte zukünftig agiert werden?

Wir haben zwei DWE-Aktivist*innen eingeladen, um mit ihnen über Stand, Zukunft und politische Einschätzung der Kampagne ins Gespräch zu kommen. Worum geht es der Kampagne? Wie haben sie gearbeitet und wie versuchen sie aktuell der Verschleppungstaktik des Berliner Senats zu trotzen? Auf welche Grenzen stößt die Forderung nach Enteignung? Muss die Kampagne als gescheitert betrachtet werden? Zuletzt wollen wir auch auf die Frage zu sprechen kommen, was unter den gegenwärtigen Bedingungen Ansatzpunkte wären, um wieder politische Handlungsfähigkeit zu entwickeln – nicht nur, aber auch aus kommunistischer Perspektive.

In der Diskussion erörtern wir gemeinsam, welche Bedeutung die Kampagne über Berlin hinaus, v.a. für linke Stadtpolitik in Leipzig hat.